Zur Haftung von neunjährigem Radfahrer für Schaden durch Sturz gegen geparktes Fahrzeug

AG Grünstadt, Urteil vom 14.05.2004 – 2 C 4/04

Verliert  ein neunjähriges Kind beim Fahrradfahren die Kontrolle über das Fahrrad und stürzt sodann gegen ein parkendes Fahrzeug, ist seine Haftung für den dadurch entstehenden Schaden nicht durch das Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, da sich das Kfz nicht in Bewegung befand (Rn. 17, 19).

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 892,07 zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatzüberleitungsgesetzes seit dem 09.09.2003.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 1.000,00 abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand
1

Der Kläger nimmt den Beklagten aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 04.08.2003 gegen 18.30 Uhr in Tiefenthal in der Straße O ring ereignete.

2

Der Kläger hatte seinen Pkw, Marke Opel, Typ Vectra Caravan, mit dem amtlichen Kennzeichen … westlicher Richtung am Fahrbahnrand im Ostring geparkt.

3

Der zum Unfallzeitpunkt neun Jahre alte Beklagte befuhr mit seinem Fahrrad den O ring in östlicher Richtung in Begleitung seines Onkels. Der Beklagte verlor die Kontrolle über sein Fahrrad, weil er sich entweder zu seiner Trinkflasche in der Mitte seines Fahrradrahmens beugte oder beim Versuch, seinen Onkel überholen zu wollen, geschwindigkeitsbedingt die Kontrolle über sein Fahrrad verlor und stieß gegen den geparkten klägerischen Pkw. Hierdurch entstand insgesamt ein Schaden in Höhe von EUR 892,07.

4

Die hinter dem Beklagten stehende Privathaftpflichtversicherung lehnt eine Schadensregulierung ab.

5

Mit außergerichtlichem Schreiben vom 25.08.2003 war der Beklagte über seinen Erziehungsberechtigten zur Zahlung bis 05.09.2003 aufgefordert worden.

6

Der Kläger trägt vor,

7

der Beklagte könne sich nicht auf das Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 BGB berufen. Denn dieses gelte nach Sinn und Zweck der Vorschrift, wenn die Entstehungsgeschichte nur für Unfälle im fließenden Verkehr, nicht aber für den Fall, dass das Kind gegen ein geparktes Fahrzeug fährt.

8

Der Kläger beantragt,

9

den Beklagten zu verurteilen, an ihn EUR 892,07 zu zahlen, zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatzüberleitungsgesetzes seit dem 09.09.2003.

10

Der Beklagte beantragt,

11

Klageabweisung.

12

Er trägt vor,

13

das Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 BGB gelte auch für den vorliegenden Fall. Dem Gesetz selbst sei eine einschränkende Auslegung nicht zu entnehmen.

14

Zur ergänzenden Sachverhaltsdarstellung wird auf die von den Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
15

Die Klage ist begründet.

16

Die Haftung des Beklagten ergibt sich aus § 823 Abs. 1 BGB. Denn er hat fahrlässig das Eigentum des Klägers beschädigt. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte wegen des Griffes zur Trinkflasche die Kontrolle über das Fahrrad verloren hatte oder aufgrund der durch den Überholvorgang erreichten Geschwindigkeit.

17

Die Haftung des Beklagten ist nicht nach § 828 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Mit der neuen Regelung soll zwar die Stellung von Kindern im motorisierten Verkehr verbessert werden. Die haften an dem Unfall mit den in Absatz 2 Satz 1 genannten Fahrzeugen nicht, es sei denn, dass sie ein fremdes Rechtsgut vorsätzlich verletzt haben. Immer mehr hat sich in den letzten Jahren der Wissenschaft die Erkenntnis durchgesetzt, dass Minderjährige vor Vollendung des 10. Lebensjahres in der Regel nicht die besonderen Gefahren erkennen können, die der Verkehr mit Kraftfahrzeugen und Schienen, sowie Schwebebahnen mit sich bringt. Insbesondere können sie Entfernungen und Geschwindigkeiten nicht richtig einschätzen (vgl. Geigel, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl. Seite 594, Rz. 7).

18

Die Fassung des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB lehnt sich an die Terminologie der §§ 7 Abs. 1 StVG und 1 Abs. 1 Haftpflichtgesetz an. Die Vorschrift erfasst daher nur Unfälle, die sich beim Betrieb eines Kfz oder einer Bahn ereignet haben. Umstritten ist die Frage, ob Absatz 2 nur anwendbar ist, wenn sich Kfz oder Bahn in Bewegung befinden oder ob der Haftungsausschluss auch bei haltenden Fahrzeugen eingreift. Hier dürfte sich eine generalisierende Betrachtungsweise verbieten. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine Situation vorliegt, die nach dem Regelungszweck des Abs. 2 eine Haftungsfreistellung des 7 bis 10 jährigen Kindes gebietet (vgl. Geigel a.a.O. Rz. 8).

19

Davon ausgehend greift hier der Haftungsausschluss nicht ein. Denn das Kraftfahrzeug hatte sich auch vor dem Unfall nicht in Bewegung befunden. Es hat somit keine Situation vorgelegen, die zu einer Fehlbeurteilung seitens des Beklagten hätte führen können, wie zum Beispiel Verschätzen von Entfernung und Geschwindigkeit eines fremden Fahrzeugs. Damit ist aber nicht die Sachlage gegeben, die den Gesetzgeber zu der Gesetzesänderung bewogen hat. Denn der geparkte Pkw kann im Grunde durch jeden beliebigen Gegenstand ersetzt werden. In seinem solchen Fall würde sich die Frage nach dem Haftungsprivileg überhaupt nicht stellen. Daher ist es gerechtfertigt, in dem hier zu beurteilenden Fall, das Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 BGB nicht anzuwenden.

20

Da der eingetretene Schaden zwischen den Parteien unstreitig ist, war der Klage im vollem Umfang stattzugeben.

21

Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 286 Abs. 1 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 BGB.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Ziff. 11; 711 ZPO.

Dieser Beitrag wurde unter Verkehrsunfallrecht abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.